Ausflug in die Vergangenheit – KZ Gedenkstätte Mittelbau-Dora

Ausflug in die Vergangenheit – KZ Gedenkstätte Mittelbau-Dora

 

Die Sonne schien am 23.11.2016 in Nordhausen, doch das Ziel der Reise war weniger sonnig. Es war eine Reise in die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte, die schwarzen Kapitel unseres Landes, in der unaussprechliche Dinge stattfanden.

Nach der Einteilung der Gruppen und der Zuteilung der „Reiseführer“ begaben wir uns zunächst in einen Raum: außen aus Holz, innen modern. Es handelte sich um einen rekonstruierten Nachbau einer Baracke, wie sie im Konzentrationslager für die Häftlinge benutzt wurde.

Zugegeben: Die Sonne half recht wenig. Über dem gesamten Ort lag eine bedrückende Stille und weitflächige Leere, bestückt mit wenigen Ruinen, die stumme Zeugen der Vergangenheit sind.

Zuerst wurden ein paar Grundinformationen gegeben: Das Konzentrationslager wurde 1943 gegründet. Zu der Zeit stand schon mehr oder weniger fest, dass Deutschland den zweiten Weltkrieg verlieren würde. Doch Aufgeben war keine Option. Stattdessen baute man Vergeltungswaffen, um eventuell die Kriegssituation noch einmal herumzureißen. Die V1 (Vergeltungswaffe 1) wurde zwar abgefeuert, erreichte doch nie das geplante Ziel, da sie zuvor von den Engländern abgeschossen wurde. Auch hatte England den Verdacht, dass Deutschland in Peenemünde etwas plante, weshalb der Ort bombardiert wurde. Man verlegte den weiteren Bau der V2 (Vergeltungswaffe 2) nach „Dora“ in den Stollen, um vor weiteren Luftangriffen geschützt zu sein.

Insgesamt wurden etwa 60.000 Menschen im KZ Mittelbau-Dora gefangen gehalten, wovon mindestens 20.000 starben. Die eigentliche Zahl der Toten liegt wahrscheinlich noch viel höher, doch die 20.000 Opfer konnten mithilfe von Quellen bestätigt werden.

Einige Überlebende des Konzentrationslagers besuchen die Gedenkstätte noch heute. Bei den Treffen der Überlebenden werden, insofern diese einwilligen, diese fotografiert und interviewt. Die dazu erstellten Übersichten haben wir uns genauer betrachtet. Dabei stellten wir einiges fest: Es gab kein Mindestalter. Zum Teil wurden dort Menschen inhaftiert, die erst 14, 16 oder 18 Jahre alt waren. Die Gründe dafür waren verschieden: Manche entstammten jüdischen Familien, andere waren Mitglieder einer Widerstandsbewegung, einige stammten aus dem italienischen Militär (Italien stand am Anfang des Krieges auf der Seite Deutschlands, wechselte gegen Kriegsende jedoch die Seiten und agierte sogar gegen Deutschland). Viele verloren ihre Familien; es gab Schicksale, wo Schwester und Mutter in Auschwitz vergast wurden und Bruder und Vater in Mittelbau-Dora getrennt wurden und einander nie wiedersahen. Das allein zu lesen, löste in meinem Magen Übelkeit aus. Wer mit Familienangehörigen das überlebte, hatte Glück, war aber noch lange nicht glücklich. Die meisten kehrten nach ihrer Befreiung am 11. April 1945 durch die Amerikaner hoffnungsvoll in ihre Heimatorte zurück. Selten fanden sie noch Angehörige ihrer Familie. Das Schicksal danach war meist gleich: Israel war für viele das nächste Ziel. Doch egal ob in Israel oder woanders: Nicht wenige traten in den Militärdienst ein. Gründe dafür gab es viele: Einerseits vielleicht der Wunsch, nicht noch einmal wehrlos zu sein, andererseits lag es größtenteils daran, dass die Menschen keine Schulbildung hatten. Wie zuvor schon erwähnt, wurden viele noch während ihrer Schulzeit inhaftiert. Des Weiteren wurde klar, dass sehr wenige Deutsche in diesem KZ leben mussten. Mehr als ein Drittel der Insassen stammten aus der Sowjet-Union, etwa ein Drittel aus Polen, 15 % aus Frankreich. Generell kamen sie jedoch von scheinbar überallher: Griechenland, Kroatien, Italien, …

Außerhalb des Gebäudes wurden wir darüber aufgeklärt, wie der Alltag für viele ausgesehen hat. Aufgestanden wurde um 6 Uhr früh, egal zu welcher Jahreszeit. Dann blieb eine halbe Stunde Zeit zum Frühstücken, Waschen, Anziehen und Morgentoilette, ehe man zum Morgenappell antreten musste. Die Namen wurden vorgelesen, die Zahl gezählt und festgehalten. Danach kam die Arbeit, zwölf Stunden, für viele ohne Pause. Anschließend wurde zum Abendappell gerufen. Erneut wird gezählt. Stimmte die Zahl, dann durfte abgetreten werden. Wenn nicht, hatten alle so lange dazustehen, bis der Fehler gefunden wurde. Wenn die Häftlinge, die sich vor dem Appell gedrückt hatten, gefunden wurden, dann wurden sie den anderen vorgeführt, ehe alle abtreten durften, damit jeder die Übeltäter sah, weswegen alle Stunde um Stunde in Reih und Glied dort stehen mussten, ohne Pause, ohne Schlaf. Uns wurde gesagt, dass wir uns Konzentrationslager nicht vorstellen sollen wie eine große Gemeinschaft, wo man sich gegenseitig half und alle Freunde waren. Es gab Prügeleien um den Platz in der Essenschlange, wer wo schlafen konnte und mit Pech waren einige so wütend über den verlängerten Appell, dass die Verursacher dessen nicht mehr lange lebten.

Im Krematorium kamen noch mehr unschöne Fakten. Der Ort, an dem die Leichen verbrannt wurden, klingt schon nicht schön und das war er ganz sicher nicht. Da wurde mir zum ersten Mal wirklich übel. Wie viele täglich starben, war verschieden. Doch wurden tausende Menschen in den zwei Öfen verbrannt, die dort vorzufinden sind. Und hinter dem Haus ist ein Hang, heute mit Laub und Steinen bedeckt. Doch unter all den Erdschichten, die mit der Zeit das Schrecklichste überdeckten, liegt noch immer Asche. Es ist ein Berg, der aus der Asche von etwa acht- oder neuntausend Gefangenen besteht: Gefangenen, die hauptsächlich an Erschöpfung, aber auch durch Krankheiten verendeten.

Zum Schluss besuchten wir den Stollen, in dem zunächst die Häftlinge untergekommen waren, bis später genügend Baracken standen, wo sich bis zu dreihundert Mann auf viel zu wenigen Quadratmetern zusammendrängten. Dort wurde auch die V2 zusammengebaut und weiterentwickelt. Die Umstände in diesem Stollen waren zunächst unmenschlich: In den Schlafstollen herrschten tropische Temperaturen und hohe Luftfeuchtigkeit – es regnete praktisch von oben herunter, Hygiene war ein Fremdwort und die Luft stand, da es an Belüftungsschächten fehlte. In der ersten Zeit starben dort rund 3000 Arbeiter aus dem KZ. Später verbesserte es sich zwar etwas, aber noch immer erging es den Arbeitskräften schlecht.

Nach dem Ausflug dorthin kehrte ich zwar mit einem flauen Gefühl im Magen zurück, doch ansonsten hatte mich nichts groß bewegt, das mich zu Tränen gerührt hätte. Das änderte sich bei weiteren Nachforschungen. Im Internet fand ich Seiten, in denen Fotos von damals zu finden sind. Unter anderem auch Bilder von den ausgemergelten und toten Körpern der Konzentrationslagerinsassen. Heutzutage würde man sagen, dass sie die schlimmste Form der Magersucht erreicht haben. Zwar wurde uns mitgeteilt, dass besonders Unterernährung ein großes Problem war, doch wurde es mir durch die Bilder erst wirklich bewusst: Menschen mit eingefallenen Gesichtern, Haut, die nur noch über die Knochen spannt (welche deutlich hervortreten). Jeden einzelnen Knochen im menschlichen Körper hätte man benennen können, ganz ohne Röntgenapparat.

Letztendlich war die Exkursion sehr informativ und lehrreich. Die Bilder von den toten Häftlingen, die abgemagert auf der Erde lagen und mit leeren, toten Augen ins Nichts starren, werde ich wohl in meinem Leben nicht wieder los und sie werden mir deutlich vor Augen führen, dass eine solche Zeit sich NIEMALS wiederholen darf, sich niemals wiederholen sollte. Dieses Kapitel der Geschichte ist eines, auf das ich als Deutsche nicht stolz bin. Das sollte niemand sein. Denn es war nicht ehrenwert oder praktisch, was man damals machte. Es war zutiefst menschenverachtend. Denn jeder, unabhängig von Hautfarbe, Religion, Geschlecht und Sexualität, ist ein Mensch und dementsprechend zu behandeln!

 

5 Gedanken zu „Ausflug in die Vergangenheit – KZ Gedenkstätte Mittelbau-Dora

    1. Das hoffe ich ebenfalls, Tim. Kinder sind besonders unschuldig, wenn man bedenkt, dass sie einfach den Glauben der Eltern annahmen, weil sie in einer solchen Familie aufgewachsen sind. Heutzutage können wir glücklicherweise entscheiden, welchen Glauben wir annehmen, trotz unserer Familie. Und verfolgt wird man dafür trotzdem nicht, zumindest nicht in Deutschland. Aber diese Kinder hatten erst recht keine Schuld, welchen Glauben sie hatten. Nicht das es überhaupt eine Schuld wäre Jude zu sein. Kein Glauben gehört bestraft und verfolgt, so lange er sich an gewisse Regeln hält (Ich rede hierbei davon, dass die Menschenwürde dabei geachtet wird und so etwas wie Morde nicht ZUR Religion/ zum Glauben gehören – und das tut es bis jetzt bei keiner mir bekannten Religion).

    1. Das wohl auch. Wenn man sich vorstellen muss, wie viele Generationen dort ausgelöscht wurden – bis zu drei Generationen sicherlich: Opa und Oma, Vater und Mutter und die Kinder von diesen. Und nicht alle hatten die Chance wirklich ein Leben zu leben, wie es sich für menschliche Wesen gehört.

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