„Das Fest der Gestenliebe“

„Das Fest der Gestenliebe“

Schika schika, tschut tschut … rast der Eisenbahnzug der Familie durch die Gassen des Ultramarktes. Wie in einem Jump-and-Run-Spiel weichen sie herumstehenden Kisten mit Ostereiern aus, springen über die alte Oma, die gerade aus dem untersten Regal eine Fertigmischung für Vanillekipferl herausholt, auf der Suche nach den Zutaten für das Weihnachtsessen. Hüpf, schon den Soßenbinder gekrallt und mit den Kindern wird zur Fleischtheke gedüst, wo die Mutter steht, eine Weihnachtsgans ablehnend.

„Wir feiern dieses Jahr klein“, sagt sie zwinkernd zum Metzger. Ihre Worte schallen durch den Ultramarkt, alle bleiben stehen, eine Zimtstange hört man fallen.

„Was, wie feiert man denn klein?“ „Es braucht zur Weihnacht mehr als Brot und Wein!“ „Die Kinder essen gar keinen Kartoffelsalat und hast du schon deine Eltern gefragt?“ „Die kommen auch zum Essen, hast du das schon vergessen?“

Eingepackt ist die Weihnachtsgans und Mutters Traum erlischt.

Der Güterzug ist nun voll. „Das muss reichen, auf zur Kasse!“ Doch Halt, es zieht sich eine Schlange, länger als jede Python es sein könnte, durch den Ultramarkt. Und ja, die Parkuhr geht nur noch bis vier!

„Kinder, nehmt die Autoschlüssel! Rettet euch und wartet dort!“ „Lasst uns zurück“, weint die Mutter und gibt ihnen einen Abschiedskuss. „Nein!“, sagt der Vater und hält sie an der Schulter „Flieh!“ Er drückt sie weg von sich und reiht sich ein in die Chinesische Mauer aus gerissenen Nervenfetzen.

Stunden vergingen, Tage vergingen, Jahre, nein Jahrhunderte, zogen dahin, da kommt der Vater hinaus, stolpernd über seinen Dreihundert-Tage-Bart. Die Kinder frohlocken, laufen auf ihn zu, der die Unmengen von Tüten stemmt wie ein Preisboxer, jauchzen und ziehen die Brieftasche aus seinem Mantel. Sie lachen und rennen zum „Toys´r´meinz“ und füllen erneut den Einkaufswagen.

Die Mutter nun ganz erbost, ruft sie zu sich, doch keiner hört, dabei vergessen die Beiden, dass sie Zugriff auf das W-Lan hat und das Passwort verstellen kann, wenn sie nicht zurückkehren.

Geknickt sitzen sie dann zuhause, fuchteln langsam mit den Armen umher, um schneller zu werden und zu kreischen, dass sie das tun mussten, weil es sonst nur wieder so einen „Scheiß“ wie letztes Jahr gäbe.

Die Eltern verneinen und zeigen auf die Presente unter dem schiefen Weihnachtsbaum. Sie drücken ihnen nur schnell Helme auf die Köpfe und dann rupfen sie die Geschenke schon auseinander. „Das ist ja nur Unterwäsche, das ist doch scheiße! Ich wollte den Legotodesstern!“, heult der Kleine, seine Geschenke betrachtend. „Ja, außerdem sind es dieses Jahr nur 36, davor waren es 37. Das ist doch scheiße!“, meint der Große zu Herrn und Frau Dursley.

„Wir feiern Weihnachten klein“, antwortet die Mutter. Ihr Wunsch flammt wieder auf und er ist wohl nicht der Einzige. „Ich glaube, die Gans brennt“, wirft die Oma ein. „Scheiße“, der Vater greift zum Feuerlöscher und macht aus dem „Feuervogel“ eine Schneeeule.

Missmutig sitzt die Familie am Esstisch, auf dem die aufgewärmten Wiener, kaltes Rotkraut und der Klumpen in der Soßiere liegen, zusammen mit den Knödeln, die beim Kochen auseinandergefallen waren. Traurig piksen die Kinder in die Knödelkrümel. Oma steht auf und geht in den Flur: „Wir haben da noch eine Kleinigkeit“, und kommt mit dem Handwagen voll Geschenke herein. „Oh, da hat der Weihnachtsmann aber ordentlich in seinen Sack gegriffen“, grinst Opa, während sich die Kinder auf den Berg stürzen. „Ja, die alte rot-bärtige Kapitalistensau“, denkt die innere Lisa Eckard von Mutter und Vater. „Schwimmt in Coca-Cola-Tantiemen, scheucht Weihnachtselfen wie Kinderarbeiter umher und hat nichts Besseres zu tun, als Kinder mit Spielzeug vom Konsum abhängig zu machen“, überlegen die Eltern, als die Kinder die Mandarinen aus ihrem Strumpf zertreten und der liebevoll gebastelte Bilderrahmen achtlos in der Ecke liegt. Nach kurzer Zeit liegt der Todesstern in seinen Einzelteilen verstreut im Wohnzimmer, das Geschenkpapier tapeziert den Boden, als Oma und Opa gegen 18.00 Uhr gehen, denn sie wollen schließlich nicht zu „nachtschlafenden Zeiten“ nach Hause kommen und schließen schnell die benachbarte Wohnungstür.

„War doch dieses Jahr besser als letztes, oder?“, grinst der Vater. Die Mutter verdreht die Augen und tritt schmerzlich auf einen Legostein.

In diesem Sinne wünscht euch das Zeigefingerteam ein gesegnetes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins Jahr 2019!

Eure Nora Nelson

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