Kurzgeschichte zur Flüchtlingsproblematik – “Doch niemand kannte ihn!”

Kurzgeschichte zur Flüchtlingsproblematik – “Doch niemand kannte ihn!”

Doch niemand kannte ihn!

Das Telefon klingelt. Er nimmt den Hörer vorsichtig ab und hebt ihn an sein Ohr. Nach wenigen Sekunden legt er den Hörer wieder hin und nickt. Alle springen sofort auf und begeben sich zur Tür. Er stürzt schnell, aber dennoch leise, aus dem Zimmer und rast die Treppen hinunter. Als er aus der Tür tritt, ist es still, nirgendwo sieht er Menschen oder Autos. Doch plötzlich biegt ein schwarzer Wagen in die Straße ein. Es hält vor ihm und sie steigen ein. Nachdem sie eingestiegen sind, rast es los, in Richtung des Strandes.

Nur wenige Meter vor dem Meer hält das Auto an. Ohne eine Erklärung werden alle aus dem Auto geworfen und es fährt los. Am Horizont des Meeres sieht man ein kleines Licht. Es kommt immer näher und näher, bis man in der Dunkelheit ein Schiff erkennen kann. Das Boot hält etwa zehn Meter vor dem Strand. Alle beginnen augenblicklich zu rennen und dann, nach wenigen Metern, zu schwimmen. Auch er rennt und schwimmt zum Boot. Nach einigen Sekunden sind alle auf dem Boot und es fährt direkt los.

Das Boot schwankt stark auf den Wellen. Wasser schwappt hinein und ihm wird übel. Drei Tage treiben sie jetzt vor sich hin, ohne Aussicht auf Hilfe, Land und eine Zukunft. Als die Hoffnung schon fast verloren schien, blickt er auf und sieht am Horizont ein Schiff, endlich Rettung.

Er erwacht. Alles, was er sieht, ist eine rissige, verschimmelte Decke, mit Spinnenweben übersehen. Er steht auf und streckt sich. Der Rücken tut ihm weh, wegen des steinharten Bettes. Er friert. Eine solche Kälte ist er nicht gewohnt. Seit drei Tagen hockt er jetzt hier in dieser notdürftigen Unterkunft. Endlich, ein Mann tritt in sein Zimmer und fragt ihn etwas. Verwirrt blickt er ihn an und zuckt mit den Schultern. Ohne etwas zu erwidern, zeigt der Mann auf die Tür. Er versteht. Er darf gehen. Und nun? Wie soll es weitergehen? Jetzt steht er hier, auf der Straße ohne Essen, Kleidung und ein Zuhause.

Wenn er durch die Straßen läuft, blicken ihm die Menschen hinterher, schütteln den Kopf und schauen wieder weg. Die Nächte schläft er auf Bänken oder unter Brücken. Es ist für ihn nun schon nichts Neues mehr, angespuckt, getreten oder beleidigt zu werden. Er verkümmert immer mehr und vermeidet den Kontakt zu Menschen. Er wird gehasst, obwohl er nie etwas Schlimmes getan hat… So viel Gutes erhoffte er sich hier, in Europa, weit weg von dem Elend und den Kriegen. Doch alle seine Hoffnungen erstarben. Alles, was er bekam, war Hunger, Angst und noch mehr Elend.

Eines Nachts wacht er auf, in einer Gasse, im Dunkeln. Er sieht Gestalten auf sich zukommen. Eine von ihnen hält einen Baseballschläger in der Hand…

 

Aaron Wittmann, 2015

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