„Die Glut, die nicht im großen Feuer verbrannt ist“ – Kinderblock 66 – Ein Zeitzeugengespräch mit Naftali Fürst

„Die Glut, die nicht im großen Feuer verbrannt ist“ – Kinderblock 66 – Ein Zeitzeugengespräch mit Naftali Fürst

Zu Beginn eine Bitte

Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass das heutige Thema nicht lustig oder einfach ist. Aber es ist so unglaublich wichtig, dass die oder unsere Vergangenheit nicht in Vergessenheit gerät!

Das Thema

In Thüringen finden jährlich die Achava-Festspiele statt und das dieses Jahr am 19.-29. September. Im Zuge dessen ermöglichte dies unserer Schule einen ganz besonderen Menschen am 24. September kennen lernen zu dürfen, Naftali Fürst, einen Überlebenden des Holocausts.

Zu diesem Gespräch waren alle 10er, Oberstufler sowie ihre Lehrer und die Geschichtskollegen für die dritte bis vierte Stunde in der Mensa eingeladen. Nach ein paar einleitenden Sätzen von Herrn Kleimenhagen und einer kurzen Biografie, stellte sich Herr Fürst selbst vor; mit der gekürzten Fassung des Films “Kinderblock 66- Return to Buchenwald” aus dem Jahr 2012. Dieser berichtet von der Geschichte vierer Jungen aus dem KZ Buchenwald und über die Rückkehr dorthin nach 65 Jahren.

Über den Zeitzeugen

Naftali Fürst, geboren 1932 in Bratislava als Sohn von Artur und Margit Fürst, lebte mit seinem älteren Bruder Shmuel ein idyllisches Leben- bis 1938, als die Nazis Bratislava annektierten. Sie waren gezwungen, zu fliehen, wie alle Juden zu diesem Zeitpunkt. Doch wohin? Egal, wo sie sich versteckten, sie waren umgeben von Antisemitismus. Schließlich wurde die Familie 1942 in das KZ Seled in der Slowakei deportiert, um bis 1944 dort festgehalten zu werden. Im November ’44 brachten die Nazis sie nach Auschwitz-Birkenau, um die Familie in verschiedene Lager zu verschleppen. Ohne Eltern wurden Naftali und Shmuel im Januar 1945 auf dem sogenannten Todesmarsch nach Buchenwald getrieben, wo beide im Kinderblock 66 untergebracht wurden. Naftali war zu diesem Zeitpunkt 12 Jahre alt.

Es war sehr emotional, den Film zu sehen und zuzuhören, wie er auf einige Rückfragen geantwortet hat.

Das hat er erlebt…

Vorangestellt sei ein Gedicht von ihm – das für sich selbst spricht und welches er Herrn Kleimenhagen rezitieren ließ.

Die Decke (Naftali Fürst)

Ich schlummere zufrieden vor mich hin,
in meinem großen, breiten Bett
eingehüllt in eine Decke, warm und leicht.
Die Kissen warm und flauschig, die Laken sauber,
ein Gefühl von Ruhe und Gelassenheit.

Eine Erinnerung schoss durch meine Gedanken
und unterbricht den Moment des Wohlgefühls,
zieht meine Gedanken in die Vergangenheit zurück
und löscht in einem Augenblick 66 Jahre eines Lebens.

Ich bin dort.
Nächte voller Leid, Kälte, Feuchtigkeit,
viele Menschen auf Hochbetten,
es gibt keine Matratzen und die Bretter sind hart.
Ich habe kein Kissen,
die Decke ist dünn,
die Decke ist kurz,
die Decke stinkt,
und mir ist kalt,
Nacht für Nacht.
Die Menschen um mich herum
leiden, stöhnen, weinen,
einschlafen können sie nicht.

Das morgendliche Aufstehen verlief mit Gebrüll und Befehlen,
nicht alle hörten auf die Anweisungen.
Einige träumten, andere litten und schliefen ein,
und ein Teil wachte bis heute nicht auf.

Viele Winter sind vergangen,
mein Leben nahm einen anderen Lauf,
doch nie werde ich vergessen,
jene Nachte des Winters 1944 und 1945.

Mein Bett ist groß und breit,
meine Decke ist leicht und weich.
So liege ich zufrieden, ich fürchte mich nicht.
Ich würdige die Gabe
und sage "Danke" für das, was ich habe.

 

Herr Fürst erzählte uns davon, wie er mit sechs all seine Freunde verlassen musste, weil die Familie floh. Er berichtete davon, wie sie seine Großmutter schweren Herzens zurücklassen mussten, die in ein KZ gebracht wurde und nicht wiederkehrte. Er erklärte, wie sie im Winter auf offenen und schneebedeckten Waggons zu aberhunderten deportiert wurden. Er merkte an, dass die Lager überfüllt und unhygienisch waren.

1944 saßen tausende Insassen in Buchenwald. Überall Krankheit und Dreck. Er erzählte davon, wie sie wie Tiere, zusammengepfercht, ohne richtiges Kissen oder Matratzen, auf Hochbetten schlafen mussten. Und er sagte, dass er als Kind noch geschont wurde.

Das Ende für das KZ Buchenwald bzw. die Befreiung der Häftlinge

In Buchenwald gab es eine gewisse Hierarchie: Barackenälteste, meist Kommunisten oder andere Nicht – Juden, die den SS-Soldaten zuarbeiten mussten. Einer von ihnen war Antolin Kalina. Diese “Funktionshäftlinge” versuchten im Untergrund den Großteil der Kinder vor dem Schlimmsten zu bewahren. Sie steckten sie in die letzte Baracke, Block 66, weit vom Blick der SS entfernt, um sie zu schützen und ihnen bessere Überlebensbedingungen zu bieten. Sie bekamen täglich zwei Rationen, zu wenig, aber mehr als die Erwachsenen in den anderen Baracken. Schlussendlich 1945, kurz vor der Befreiung des Lagers durch die Alliierten, deportierten die Nazis so viele Juden wie möglich in andere Lager. Jedoch durch ein heimliches Austauschen der Aufnäher auf der Kleidung und glaubwürdiges Beteuern, diese Kinder seien keine Juden, konnte Kalina den Großteil retten, fast 1000 Jugendliche. Als am 11. April 1945 um 15:15 Uhr die Alliierten das Lager einnahmen, erklang durch die Ansage: „Wir sind frei.“

Und das Ende der Inhaftierung für Herrn Fürst

Naftali erkrankte in diesem Zeitraum in Buchenwald mit einer Lungenentzündung . Er hatte Fieber, er hustete und war geistig verwirrt. Deswegen wurde er, von seinem Bruder getrennt, in die Krankenstation gebracht und aus einem Lager davon 1945 gerettet. Er erholte sich wieder, so weit möglich, zumindest körperlich. Unglaublicherweise fanden sein Bruder, seine Mutter, sein Vater und er in ihrer Heimat wieder zusammen. In der gesamten Slowakei war seine die einzige jüdische Familie, in der alle überlebt und das Lager nahezu unversehrt verlassen haben.

Nach dem Krieg wanderte die Familie nach Israel aus. Herr Fürst diente in der Israel Defense Force und lebte im Kibbutz Ma’ anit. Später wurde er Fotograf, Fahrlehrer und Werksleiter, vor seiner Pensionierung.

Er ist heute ein Ehemann, ein Vater und vierfacher Großvater. In seinem bescheidenen Leben hat er schon den Krebs besiegt und mehrere Herzoperationen überstanden, immer nach vorn geschaut, denn “das Leben geht weiter”, wie er sagt.

Was denkt er heute über die Vergangenheit?

Aber bis heute hat er zum Glauben nicht zurückgefunden. Er konnte nie verstehen, wie ein Gott all diese Gräueltaten an Unschuldigen billigen konnte. Herr Fürst hat beim Todesmarsch von Auschwitz nach Buchenwald gehungert und gefroren. Sie mussten, ohne zu wissen, warum oder wohin sie gehen, zu Fuß hunderte von Kilometern zurücklegen. Tausende sind vor Erschöpfung zusammengebrochen oder vor Kälte erfroren. Leichenberge haben sich vor ihm aufgetürmt, nackt und entstellt. Er sagt, dass das sogar das Schlimmste war, das er in seinem jungen Leben gesehen hat.

Das Wort Shoa heißt nicht umsonst unvergleichbare Katastrophe und gilt allein für den Holocaust, dem Völkermord an den Juden. Kein Kind sollte so etwas erleben müssen.

2009 veröffentlichte er über seine Geschichte ein Buch – “Wie Kohlenstücke in Flammen des Schreckens”. Trotzdem meint er selbst, es würden sich für so etwas nie die richtigen Worte finden lassen und auch bezeichnet er sich selbst nicht als Überlebenden. Er bezeichnet sich und seine Mitleidenden als

“Glut, die nicht im großen Feuer verbrannt ist.“

Naftali Fürst

Danke, dass Sie uns diese bleibenden Eindrücke verschafft haben, dafür genügt kein Blumenstrauß.

Elisa Rockstroh

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